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Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen - Konflikt nur aufgeschoben?

Kommt die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen?

Die Koalitionsverhandlungen zur Bildung eines neuen Senats von Berlin gehen in die Endphase. Bereits seit 2016 wird die Hauptstadt von SPD, Grünen und Linken regiert. Stimmen die jeweiligen Parteigremien zu, könnte es ab Weihnachten in dieser Koalition für die nächsten fünf Jahre weitergehen. Es gibt aber auch Konfliktstoff – besonders in der Frage der Enteignung großer Wohnungsunternehmen.

Am 26.09.2021 hatte Berlin nicht nur den Bundestag, das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordneten neu gewählt.  Zur Abstimmung stand auch der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Das Ziel dieser Initiative ist, durch eine „Vergesellschaftung“ des Wohnungsbestandes, der sich in Besitz größerer Unternehmen befindet, die Situation der Mieter:innen und Wohnungssuchenden zu verbessern. Davon wären 243.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin betroffen.

Fast 58 Prozent der wahlberechtigten Berliner:innen stimmten dieser Forderung zu. Nun ist der noch zu bildende Senat am Zug. Er ist rechtlich nicht an das Ergebnis gebunden. Aber der Volksentscheid verpflichtet ihn dazu, sich mit der Forderung zu befassen.

Giffey lehnt Enteignungen ab

Harmonie herrscht unter den drei Parteien in dieser Frage allerdings nicht. Während die Linken den Volksentscheid aktiv unterstützt hatten und sich auch die Berliner Grünen im  Lager der Unterstützer:innen befinden, macht die Spitzenkandidatin der SPD und voraussichtliche zukünftige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey keinen Hehl aus ihrer Ablehnung von Enteignungen. Die Koalitionäre einigten sich daher auf einen Formelkompromiss, der die eigentliche Entscheidung weit ins nächste Jahr verschiebt. Demnach soll sich nun zunächst eine Expertenkommission mit den Forderungen des Volksentscheids beschäftigen.

Doch schon vor der Einsetzung einer Kommission sind sich auch die Experten nicht einig. So äußerte der emeritierte Staatsrechtler Ulrich Bettis erhebliche Zweifel daran, ob die im Volksentscheid geforderten Enteignungen überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Der zugrundeliegende Artikel 15 des Grundgesetzes sei noch nie angewendet worden. Er stelle in diesem Fall einen unverhältnismäßigen Eingriff in privates Eigentum dar und verstoße wegen der Vergesellschaftung ab einer Schwelle von 3.000 Wohnungen gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zudem fehle dem Land Berlin die gesetzgeberische Kompetenz für ein solches Enteignungsgesetz.

Auch Genossenschaften betroffen?

Darüber hinaus könnten auch rund 140 000 Wohnungen der Berliner Genossenschaften betroffen sein. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Demnach gingen die Initiatoren des Volksentscheides fälschlicherweise davon aus, dass Genossenschaften keine Gewinne erzielten. Dies sei aber der Fall, denn natürlich müssten die 29 Berliner Wohnungsbaugenossenschaften im Interesse ihrer Mitglieder Gewinne erwirtschaften, so das Gutachten. Eine verfassungskonforme Unterscheidung zu den privaten Wohnungsbauunternehmen sei hier nicht möglich.

Dies wiederum bestreitet der wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses. Eine rechtssichere Ausnahme sei möglich, so die Parlamentsjuristen. Eine Enteignung von Grund und Boden auf Basis von Artikel 15 sei möglich, auch wenn sie einen tiefen Einschnitt in das Recht auf Eigentum bedeutete. Allerdings hat auch der wissenschaftliche Dienst, ähnlich wie Ulrich Bettis, erhebliche Zweifel, ob die erforderliche Entschädigung mit der Schuldenbremse des Landes Berlin vereinbar sei.

Initiatoren pochen auf „Vergesellschaftungsgesetz“

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co“ ficht das nicht an. Es gebe bislang insgesamt sieben Gutachten, die eine rechtssichere Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes bestätigten. Zudem berufen sich die Aktivist:innen auf SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der bereits 2015 öffentlich erklärt hatte, Volksentscheide seien „genauso verbindlich wie Parlamentsbeschlüsse.“ Die Koalitionsparteien seien nun aufgefordert, ein „Vergesellschaftungsgesetz“ auf den Weg zu bringen.

Da die Frage nach einer Vergesellschaftung am Ende nur mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann, dürften noch schwierige Verhandlungen bevorstehen. Was sich aber auf alle Fälle abzeichnet: Das letzte Wort werden die Verfassungsrichter in Berlin und Karlsruhe haben.