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Berlin: Enteignung auf dem Wohnungsmarkt?

Was sagen Befürworter und Gegner?

Am 26.09.2021 wurden in Berlin nicht nur der Deutsche Bundestag und das Abgeordnetenhaus gewählt. Die Berliner:innen stimmten auch für eine bedeutende wohnungspolitische Richtungsentscheidung: Sollen die großen Unternehmen auf dem Berliner Wohnungsmarkt mit einem Bestand von über 3.000 Wohnungen, wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius und andere, zu Gunsten einer Vergesellschaftung enteignet werden? Rund 56 Prozent der wahlberechtigten Berliner:innen stimmten dafür. Nun muss sich der Senat mit dieser Frage beschäftigen.

Doch was bringt eine solche Enteignung für die Mieter:innen und den Wohnungsmarkt? Hier scheiden sich die Geister.

Enteignung auf dem Wohnungsmarkt scheidet die Geister

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wird von Parteien wie DIE LINKE und den Grünen unterstützt, sowie von Gewerkschaften, Mietervereinen und Kirchenkreisen. Ihr Hauptargument lautet: Weil die Konzerne ihren Aktionären immer höhere Dividenden zahlen müssten, würden dadurch die Mieten immer weiter ansteigen. Das führe zur Verdrängung von Mieter:innen aus ihren Kiezen. Außerdem würden laut der Initiative notwendige Sanierungen ausbleiben. Durch eine Vergesellschaftung würden sich diese Probleme lösen lassen.

Eine Vergesellschaftung führe zu einer Entspannung auf dem überhitzten Berliner Wohnungsmarkt, so die Initiative und ihre Unterstützer:innen, weil aus den Mieten keine „Profite“ mehr erwirtschaftet werden müssten, sondern „nur noch die tatsächlich entstehenden Kosten.“ Die erhoffte Folge: sinkende Mieten. Durch die Umwandlung der Wohnungsgesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) hätten die Mieter:innen zudem ein demokratisches Mitspracherecht, „wenn es um Sanierung und Klimaschutz, um Gemeinschaftsräume, um Hofbegrünung und Kinderspielplätze, um barrierefreie Wohnungen und alternative Wohnformen geht“, so die Initiative.

Enteignung könnte bis zu 36 Milliarden Euro kosten

Die Enteignung sei das völlig falsche Instrument, argumentieren die Gegner, insbesondere aus CDU, SPD, FDP und Verbänden der Wohnungswirtschaft. Ihr Hauptargument: Eine Vergesellschaftung bewirke lediglich einen Eigentümerwechsel bei 243.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin, schaffe aber keinerlei neuen Wohnraum. Der sei aber die Voraussetzung für sinkende Mieten. Denn nur wenn genug Wohnraum gebaut werde, könne der Preisdruck aufgrund des aktuellen Nachfrageüberhangs reduziert werden.

Die geforderte Enteignung könnte das Problem sogar verschärfen, denn durch die zu erwartenden Entschädigungssummen von bis zu 36 Milliarden Euro, die das Land Berlin aufbringen müsste, würden entscheidende Haushaltsmittel für öffentliche Investitionen in den Wohnungssektor fehlen. Zum Vergleich: für den gesamten Haushalt des Landes Berlin sind für 2022 rund 33 Milliarden Euro eingeplant. Auch sei es rechtlich nicht eindeutig, ob nicht auch große Genossenschaften unter eine Enteignung fallen müssten, die aber schon jetzt sehr günstige Mieten anbieten.

Die Gegner des Volksentscheides bezweifeln vor allem, dass die öffentliche Hand für die Mieter:innen die günstigere Eigentümerin wäre. Bereits heute hätten die kommunalen Berliner Wohnungsgesellschaften mit einem Marktanteil von 33 Prozent 14 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Kämen weitere 15 Prozent des Berliner Gesamtbestandes aus dem enteigneten Besitz von Konzernen hinzu, müssten sie zusätzliche Beträge für die Instandhaltung aufbringen und die Mieten erhöhen. Es seien gerade die fehlenden Mittel für Instandhaltung und notwendige Sanierungen gewesen, die den Senat bis zur Mitte der Nullerjahre zum Verkauf großer Bestände an private Wohnungsunternehmen bewogen hatten.

Zudem könnten von einer großen Enteignungswelle künftige Investoren abgeschreckt werden. Die Gegner der Initiative führen ins Feld, dass bis zu 20.000 neue Wohnungen pro Jahr in Berlin benötigt werden, um den Bedarf zu decken. Um diese überhaupt bauen zu können, brauche es private Partner und Investoren. Das werde „nicht allein über die städtischen Gesellschaften funktionieren,“ so der amtierende Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).

Noch ist offen, ob Volksentscheid umgesetzt wird

Ob es zu einer Enteignung kommt, ist völlig offen. Das Ergebnis des Volksentscheids hat keine rechtlich bindende Wirkung, es fordert lediglich den Senat dazu auf, das Thema auf seine Agenda zu setzen. Zudem mehren sich die Zweifel, ob die Vergesellschaftung verfassungsrechtlich überhaupt Bestand haben könnte. Klar ist aber auch, dass sich ein neugewählter Senat mit der Forderung einer Mehrheit der Berliner:innen ernsthaft auseinandersetzen muss.