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400.000 neue Wohnungen jährlich

Ist das Ziel zu erreichen?

In ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung einen "Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik" angekündigt. Wichtigstes Ziel dabei der Neubau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen, davon 100.000 öffentlich gefördert. Dadurch soll der Wohnungsmarkt entspannt, Wohnen für alle bezahlbar und "klimagerechtes Bauen nach vorne gebracht" werden. Seit dieser Ankündigung ist nun ein halbes Jahr vergangen - was wurde bislang erreicht? 

Bilanz des letzten Jahres

Schaut man zunächst auf die Zahlen des vergangenen Jahres, wird deutlich, welche Kraftanstrengungen noch nötig sind. Für 2021 hatte die damalige Bundesregierung 350.000 neue Wohnungen geplant - gebaut wurden nur 293.393. Das sind vier Prozent weniger als im Vorjahr 2020 und 56.607 weniger als angestrebt. Der Wohnungsbau bewegte sich damit auf dem Niveau des Jahres 2019.  

Ein Blick auf 2022

Auch unter der neuen Bundesregierung lagen in den ersten Monaten des Jahres 2022 die Zahlen weit unter dem angestrebten Ziel. Im Mai wurden Baugenehmigungen für 31.688 Wohnungen erteilt. Das ist innerhalb eines Jahres ein Rückgang um 2,1 Prozent. Die Zahl der Baugenehmigungen, die insgesamt von Jahresbeginn bis Mai 2022 registriert wurden, lag bei 155.347 und damit 1,6 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Dennoch gibt es auch positive Tendenzen. So hat ImmoScout24 ermittelt, dass von Januar bis Mai 2022 bundesweit 6,6 Prozent mehr Neubauwohnungen online angeboten wurden als im selben Zeitraum vor einem Jahr. Das lag aber vor allem daran, dass im vergangenen Jahr genehmigte Bauprojekte nun fertiggestellt sind und auf den Markt kommen. 

Das muss passieren

Um das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr zu erreichen, hat die Bundesregierung ein "Bündnis für bezahlbaren Wohnraum" ins Leben gerufen. Es soll im Herbst einen ersten Bericht vorlegen. Zudem hat Bauministerin Klara Geywitz (SPD) versichert, dass an der Bundesförderung von einer Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau in 2022 nicht gerüttelt werde. Unterdessen hat der Deutsche Bundestag die Mittel für die vorübergehend gestoppte KfW-Förderung zum energieeffizienten Sanieren nach Überarbeitung des Förderansatzes gebilligt. Weitere Entscheidungen stehen allerdings noch aus. So befindet sich ein Referentenentwurf zum kommunalen Vorkaufsrecht im Bauministerium noch in Vorbereitung. 

Für Neubauten ist das Bauland, insbesondere in den Ballungszentren, knapp und daher teuer. Die Schaffung von Wohnraum durch Nachverdichtungen und Aufstockungen bestehender Gebäude nimmt daher an Bedeutung zu. So sieht etwa die Stadt Frankfurt in der Aufstockung von bestehenden Gebäuden "Potenzial von mehreren tausend Wohnungen". Bereits 2019 habe die Stadt 450 Baugenehmigungen für Aufstockungen erteilt. Es handelt sich meist um Gebäude der 1950er Jahre, die im Zuge der Sanierung mit vorgefertigten Holzmodulen von drei auf fünf Stockwerke aufgestockt werden. Der Vorteil: Es entstehen schnell und kostengünstig Wohnungen, ohne dass Flächen versiegelt werden und hohe Bodenpreise bezahlt werden müssen. Wie ein Branchenvertreter einmal treffend formulierte: „Entweder wachsen die Häuser oder die Mieten“. 

Herausforderungen auf dem Immobilienmarkt

Dennoch: Angesichts der Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine sowie die anhaltende Corona-Pandemie bleiben gewaltige Kraftanstrengungen nötig. Das Baugewerbe klagt über Materialengpässe und Fachkräftemangel. Die Energiekosten sind durch die Gaskrise so hoch wie nie, was die Zulieferindustrie im Bausektor hart trifft etwa bei der Herstellung von Dämmmaterial oder Leitungssystemen. Und schließlich treiben Inflation und höhere Zinsen die Kosten der Baufinanzierung spürbar nach oben, was jedes Bauvorhaben weiter verteuert. Will die Bundesregierung ihr Ziel der jährlich 400.000 neuen Wohnungen erreichen, wird sie sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen als ursprünglich geplant.